HORUSAUGE

Der Falkengott »Horus«

Das Auge des Falkengottes Horus ist als Menschenauge dargestellt am unteren Teil jedoch sind das auffallende schwarze Mal und die Anordnung des Gefieders, wie der Raubvogel sie aufweist, stilisiert. Nach dem alten Mythos riß der rivalisierende Gott Seth Horus das Auge aus, sein Onkel, der ihm den ägyptischen Thron streitig machte, nachdem er seinen Vater Osiris getötet und zerstückelt hatte. Thot, der weise Mondgott, Schutzpatron der Wissenschaften und der Schreibkunst, brachte es geduldig wieder in Ordnung und heilte es. Als mehrdeutiges Symbol bezeichnet es den Zustand der wiedererlangten Unversehrtheit: Im Bereich der Astronomie ist es das Mondsymbol schlechthin und bezieht sich auf die zunehmende Vollendung der Mondscheibe; in der Ideologie des pharaonischen Königtums stellt es die ewige Erneuerung des göttlichen Königtums von König zu König dar. Überall da, wo ein Zustand der Schwäche oder der Störung die natürliche Ordnung der Dinge untergraben könnte, stabilisiert das Bild des Symbols mit seiner Kraft magischen Schutzes wieder ihren rechten Lauf und stärkt als Botschaft der Hoffnung den Glauben des ägyptischen Denkens an die ewig wiederkehrende Instandsetzung der universellen Harmonie. Die Ägypter Horusauge in graphischer Darstellungliebten dieses Symbol deshalb sehr. In höchst unterschiedlichen Versionen, was Ausmaße und Kostbarkeit der Materialien betrifft, diente es als Amulett das um den Hals getragen wurde, oder als graphisches Motiv für wunderschönen Schmuck; es zierte die Lünetten von Stelen und Sarkophagen; es gehörte zu glückverheißenden Bilderrätseln in der Verzierung von Gefäßen oder anderer persönlicher Dinge. Auch wurde es für eine hübsche graphische Umsetzung der Maßeinheiten für Getreide verwendet. Jedem einzelnen Teil des Auges, das Seth dem Mythos zufolge zerrissen hatte, wurde der Wert eines Bruches zugeordnet. Ihre Gesamtsumme, der Wiederinstandsetzung des Auges entsprechend, die Thot vollbracht hatte, hätte das Ganze ergeben müssen. Tatsächlich aber ergibt die Summe der sechs verwendeten Brüche nur 63/64; man nahm an, Thot habe das fehlende 1/64 durch Zauberei unterschlagen.

Maria Carmela Betrò
Ägyptologin an der Universität von Pisa, Italien
 

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